Retinoblastom

Kategorien: Syndrome & AugenerkrankungenPublished On: 25. Februar 2024Von 7,9 min read

Dr. med. Richard Nagy

Ärztlicher Leiter, Facharzt für Augenheilkunde

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Inhaltsverzeichnis

retinoblastom

Einleitung: Das Retinoblastom

Retinoblastom ist ein seltener, bösartiger Augentumor, der vorwiegend die Netzhaut des Auges bei Kindern betrifft. Diese Krebserkrankung, die sowohl als erbliches Retinoblastom als auch als nicht-erbliche Form des Retinoblastoms auftritt, stellt eine ernsthafte Bedrohung für das Sehvermögen und das Leben der betroffenen Kinder dar. Im Folgenden wird ein detaillierter Überblick über die Krankheit gegeben, der von seiner Definition und Grundlagen über Ursachen und Risikofaktoren, Symptome und Diagnosemethoden bis hin zu den Behandlungsmöglichkeiten und der Prognose reicht.

Definition und Grundlagen

Die Tumorerkrankung „Retinoblastom“ zeichnet sich durch das unkontrollierte Wachstum maligner Zellen in der Retina aus und ist die häufigste Form des Augenkrebses bei Kindern. Typischerweise manifestiert sich die Krankheit im frühen Kindesalter, oft schon vor dem fünften Lebensjahr. Das Retinoblastoma kann unilateral (einseitig) oder bilateral (in beiden Augen, also beidseitig) auftreten. Beim beidseitigen Retinoblastom handelt es sich häufiger um die erblichen Variante. Die Krankheit weist eine signifikante genetische Komponente auf. Die Voraussetzung für sein Auftreten ist die Inaktivierung beider Allele des Retinoblastom-Gens (RB1), wie es in der Knudson-Hypothese postuliert wird.  Diese genetische Anomalie  führt zu einem Verlust der Tumorsuppressor-Funktion, was das unkontrollierte Zellwachstum ermöglicht. Die Unterscheidung zwischen der erblichen und der sporadischen Form des Retinoblastoms ist entscheidend, da sie nicht nur die Behandlungsstrategie, sondern auch die Prognose und die Beratung der Familie hinsichtlich des Risikos einer Vererbung beeinflusst.

Retinoblastome neigen dazu, sich zügig zu entwickeln. Ihre Ausbreitung kann sich sowohl innerhalb des Augapfels als auch von dort aus in die Augenhöhle und entlang des Sehnervs in das Zentralnervensystem (ZNS) erstrecken. In fortgeschrittenen Stadien besteht auch die Möglichkeit, dass sie sich über den Blut- und/oder Lymphweg in andere Organe ausbreiten.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Krankheit wird durch Mutationen im RB1-Gen verursacht, einem Tumorsuppressorgen, das eine zentrale Rolle in der Zellzykluskontrolle spielt. Im Fall des erblichen Retinoblastoms wird diese Mutation von einem Elternteil vererbt oder tritt spontan in der Keimbahn auf, was bedeutet, dass sie in allen Körperzellen vorhanden ist und somit ein erhöhtes Risiko für Retinoblastome in beiden Augen sowie für andere Krebsarten in späteren Lebensphasen besteht. Sporadische Fälle resultieren aus Mutationen, die ausschliesslich in den Netzhautzellen auftreten, ohne dass diese Veränderungen in der Keimbahn vorhanden sind, wodurch das Risiko auf das betroffene Sehorgan beschränkt bleibt. Zusätzlich zu den genetischen Faktoren können Umwelteinflüsse, obwohl weniger gut verstanden, ebenfalls eine Rolle spielen. Die Forschung konzentriert sich darauf, weitere Risikofaktoren zu identifizieren, die zur Entwicklung des Retinoblastoms beitragen könnten, um die Früherkennung und Prävention zu verbessern.

Symptome und Diagnose

Die Symptome des Retinoblastoms können vielfältig sein und oft werden sie erst wahrgenommen, wenn die Krankheit bereits fortgeschritten ist. Leukokorie, der weisse Pupillenreflex, ist eines der auffälligsten Anzeichen und kann oft auf Fotografien bemerkt werden. Andere Symptome umfassen Strabismus, eine sichtbare Schwellung des AugesRötung und Schmerzen sowie eine Verschlechterung des Sehvermögens.

In seltenen Fällen kann die Krankheit auch im Corpus pineale auftreten, was als trilaterales Retinoblastom bezeichnet wird. Dies führt zu einer hauptsächlich neurologischen Symptomatik, die unter anderem durch eine verstärkte Beteiligung der Hirnhäute verursacht wird.

Die Diagnose des Retinoblastoms erfordert eine umfassende augenärztliche Untersuchung, die in der Regel unter Vollnarkose durchgeführt wird, um eine detaillierte Bewertung des Innenraums des Auges zu ermöglichen. Bildgebende Verfahren wie Ultraschall, Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT) spielen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Grösse und Ausbreitung des Tumors sowie bei der Planung der Behandlungsstrategie. In einigen Fällen kann eine Biopsie erforderlich sein, um die Diagnose zu bestätigen und genetische Tests durchzuführen, die Aufschluss über die Form des Retinoblastoms geben können.

Differentialdiagnosen

Bei der Diagnose des Retinoblastoms ist es wichtig, andere Krankheiten auszuschliessen, die ähnliche Symptome aufweisen können. Diese Differentialdiagnosen umfassen eine Reihe von Augenerkrankungen, die Leukokorie (weisser Pupillenreflex), Strabismus (Schielen) oder andere Augensymptome verursachen können, die mit Retinoblastom verwechselt werden könnten. Ein umfassendes Verständnis dieser Bedingungen ist entscheidend, um eine korrekte Diagnose zu stellen und die angemessene Behandlung einzuleiten.

Kongenitale Katarakt

Kongenitale Katarakte sind Trübungen der Augenlinse, die bereits bei Geburt vorhanden sein können oder sich kurz danach entwickeln. Sie können zu einem weissen Pupillenreflex führen, ähnlich wie beim Retinoblastom. Die Unterscheidung erfolgt in der Regel durch eine sorgfältige Untersuchung der Linse, die bei Katarakten trüb ist, während bei Retinoblastom die Linse klar bleibt und der Tumor in der Retina sichtbar ist.

Persistierender hyperplastischer primärer Glaskörper (PHPV)

PHPV ist eine Entwicklungsanomalie des Auges, bei der der primäre Glaskörper, eine embryonale Struktur, die sich normalerweise zurückbildet, teilweise erhalten bleibt und zu einer weissen Pupille führen kann. Zusätzlich kann es zu einer Mikrophthalmie (kleines Auge) und zu einer Linsentrübung kommen. Die Unterscheidung von Retinoblastom erfordert eine sorgfältige augenärztliche Untersuchung, oft unter Zuhilfenahme von Ultraschall, um die charakteristischen Strukturen des PHPV zu identifizieren.

Retinopathie der Frühgeborenen (ROP)

ROP tritt bei frühgeborenen Kindern aufgrund einer unvollständigen Vaskularisierung der Netzhaut auf. In fortgeschrittenen Stadien kann ROP zu einer Retinaablösung und Leukokorie führen, was fälschlicherweise für ein Retinoblastom gehalten werden könnte. Die Anamnese eines Patienten, einschliesslich des Gestationsalters bei der Geburt und der Sauerstofftherapie, zusammen mit der Untersuchung der Retina, hilft bei der Unterscheidung zwischen ROP und Retinoblastom.

Coats-Krankheit

Die Coats-Krankheit ist eine seltene Krankheit, die durch abnormale Entwicklung der Blutgefässe in der Retina gekennzeichnet ist, was zu Blutungen und Flüssigkeitsansammlungen führen kann. Dies kann einen weissen Pupillenreflex und eine Retinaablösung verursachen, die dem Retinoblastom ähnlich sind. Die Diagnose wird durch eine detaillierte Untersuchung der Netzhautgefässe gestellt, die bei der Coats-Krankheit deutlich abnormal sind.

Retina-Astrozytom

Astrozytome der Retina sind gutartige Tumoren, die von den Sternzellen (Astrozyten) der Netzhaut ausgehen. Sie können als weisse oder gelbliche Massen innerhalb der Retina erscheinen und bei der Untersuchung mit einem Retinoblastom verwechselt werden. Die Unterscheidung erfolgt in der Regel durch die Untersuchung der Tumorcharakteristik und -lage innerhalb der Netzhaut.

Uveitis und Endophthalmitis

Uveitis, eine Entzündung der Uvea (der mittleren Augenhaut), und Endophthalmitis, eine entzündliche Reaktion innerhalb des Auges, die oft durch eine Infektion verursacht wird, können ebenfalls zu Symptomen führen, die mit denen eines Retinoblastoms verwechselt werden können. Anzeichen von Entzündungen, Schmerzen und Anamnese einer Infektion können bei der Differentialdiagnose helfen.

Die korrekte Identifizierung dieser und anderer möglicher Differentialdiagnosen erfordert eine umfassende augenärztliche Untersuchung, oft ergänzt durch bildgebende Verfahren und manchmal eine Biopsie. Eine frühzeitige und genaue Diagnose ist entscheidend, um die geeignete Behandlung einzuleiten und die bestmöglichen Ergebnisse für das Kind zu erzielen.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung des Retinoblastoms hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschliesslich der Grösse und Lage des Tumors, ob ein oder beide Augen betroffen sind, und ob die Krankheit sich über das Auge hinaus ausgebreitet hat. Zu den Behandlungsoptionen gehören lokale Therapien wie Laserkoagulation, Kryotherapie und Brachytherapie, die darauf abzielen, den Tumor direkt zu zerstören, ohne das umliegende gesunde Gewebe zu schädigen. Systemische Chemotherapie wird oft eingesetzt, um den Tumor zu verkleinern oder Metastasen zu behandeln, und in einigen Fällen kann eine externe Bestrahlung erforderlich sein. Die Enukleation, die Entfernung des betroffenen Auges, bleibt eine Option für fortgeschrittene Fälle, bei denen das Sehvermögen nicht gerettet werden kann. Die Wahl der Behandlungsmethoden berücksichtigt nicht nur die Überlebensrate, sondern auch die Lebensqualität des Kindes, einschliesslich der Erhaltung der bestmöglichen Sehfunktion und der Minimierung langfristiger Nebenwirkungen.

Prognose und Nachsorge

Die Prognose für Kinder mit Retinoblastom ist im Allgemeinen gut, besonders wenn die Krankheit früh erkannt und behandelt wird. Die Überlebensraten sind hoch, und viele Kinder behalten ein brauchbares Sehvermögen. Jedoch ist die Nachsorge von entscheidender Bedeutung, um mögliche Rückfälle oder die Entwicklung von Sekundärtumoren, insbesondere bei der erblichen Form, frühzeitig zu erkennen. Regelmässige augenärztliche Untersuchungen und Bildgebungsverfahren sind Teil des Nachsorgeplans, ebenso wie genetische Beratung und Unterstützung für die Familien betroffener Kinder. Langfristig kann die Erfahrung des Retinoblastoms sowohl physische als auch psychologische Auswirkungen auf das Kind und seine Familie haben, was eine umfassende Betreuung und Unterstützung erfordert, um eine optimale Lebensqualität zu gewährleisten.

Zusammenfassung

Retinoblastom ist ein seltener, maligner Tumor, der in der Netzhaut des Auges entsteht und hauptsächlich Kinder betrifft. Die Krankheit verläuft unbehandelt immer tödlich. Es manifestiert sich oft durch Symptome wie Leukokorie (weisser Pupillenreflex), Strabismus (Schielen), eine sichtbare Rötung oder Schwellung des Auges und eine Verschlechterung des Sehvermögens. Die Erkrankung kann in erblicher oder nicht-erblicher Form auftreten, wobei die erbliche Form mit einer Mutation im RB1-Gen zusammenhängt. Die Diagnose erfordert eine sorgfältige Untersuchung durch den Augenarzt, unterstützt durch bildgebende Verfahren wie Ultraschall, MRI oder CT. Die Behandlung variiert je nach Stadium der Krankheit und kann lokale Therapien, Chemotherapie, Strahlentherapie oder in fortgeschrittenen Fällen die Enukleation des betroffenen Auges umfassen. Die Prognose ist im Allgemeinen gut, insbesondere bei frühzeitiger Erkennung und Behandlung, wobei regelmässige Nachsorgeuntersuchungen für die Früherkennung von Rückfällen oder langfristigen Nebenwirkungen der Behandlung wichtig sind.

Bei Verdacht auf ein Retinoblastom oder zur weiteren Beratung stehen die Augenärzte in Chur gerne zur Verfügung. Sie bieten umfassende Untersuchungen an, um eine genaue Diagnose zu stellen, und beraten individuell über die bestmöglichen Behandlungsoptionen und die Nachsorge.

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